Von nun an geht’s bergauf

Ab jetzt will ich gesünder leben.
Nein, ehrlich! Ich habe keine Lust mehr auf all die Wochenendexzesse; all die durchgesoffenen Nächte, nach denen man erwacht mit schrecklichen Kopfschmerzen und einem Gefühl, als hätte einem jemand die Luftröhre mit Sandpapier tapeziert. Das kommt vom vielen Rauchen.
Nein, damit ist jetzt Schluss! Schließlich hab ich jetzt die Grenze der magischen 30 passiert und muß jetzt ein bisschen Acht geben auf mich selbst. Das macht man da schließlich so. Jetzt beginnt für mich ein völlig neuer Lebensabschnitt! Zum Zeichen dessen zerbreche ich rituell meine letzten paar Zigaretten – natürlich nicht, ohne mir vorher noch eine angezündet zu haben, auf die guten alten Zeiten – aber mit dem letzten Zug meiner definitiv letzten Zigarette huste ich mein altes lasterhaftes Dasein aus und fühle mich schon jetzt irgendwie viel befreiter.
Schnell esse ich mein Dinkelbrot mit vegetarischem Bio-Brotaufstrich auf (welches zugegebenermaßen ziemlich beschissen schmeckt, aber man gewöhnt sich sicherlich daran…das kommt bestimmt nur vom vielen Rauchen…) und schnappe mir gut gelaunt und schwungvoll meine Sporttasche. In meinem Alter wird es Zeit, die “-ness”-Wörter zu etablieren: Business, Wellness, Fitness..
Ja, ich mache nämlich jetzt auch Fitness! Das macht man schließlich so als gesundheitsbewußter Mensch. Jeden Tag mindestens 1 1/2 Stunden, in einem Sportstudio. Falls Sie noch niemals in solch einem Sportstudio gewesen sind, werde ich Ihnen mal kurz erklären, wie das da so abläuft: dem autonomen Teilzeitbodybuilder stehen hier verschiedene Trainingsgerätschaften zur Verfügung, die er parcourartig nacheinander abarbeitet. Das klingt erstmal einfach und das ist es eigentlich auch – wäre da nicht ein entscheidendes Problem: man ist niemals allein.
Es ist in den Sportstudios dieser Republik ein unumstößliches Gesetz, daß das Gerät, welches man eigentlich als nächstes benutzen möchte, immer besetzt ist – in überdurchschnittlich vielen Fällen von einer Gruppe von 2-3 befreundeten jungen Frauen, von denen natürlich jede ihr eigenes Gerät besetzen muß, anstelle sich einfach abzuwechseln. Logisch. Bedeutet erstmal: warten. Hat man dann endlich mal eines jener Geräte für sich in Beschlag nehmen können, beginnt man dann endlich mit dem Training – natürlich niemals, ohne sich ein mitgebrachtes Handtuch unterzulegen, das ist nämlich in den meisten Sportstudios Pflicht. Und da stoßen wir bereits an die nächste konstitutionelle Herausforderung: den wenn auch unmittelbaren, aber dennoch ungewollten Körperkontakt mit den Handtüchern fremder Leute. Handtücher vollgesogen mit altem Schweiß; Handtücher mit den abscheulichsten Mustern, die man sich nur vorstellen kann – frottiergewordene Alpträume gleich den Kacheln in Großmutters renovierbedürftigster Gästetoilette. All das mag für den geneigten Leser schon jetzt absolut abschreckend klingen – aber das Schrecklichste habe ich noch gar nicht erwähnt: Sie mögen möglicherweise bisher den Geruch von Pferd, Erbrochenem oder Juicy-Fruit-Kaugummi für die äußerste erfahrbare Grenze der olfaktorischen Wahrnehmung gehalten haben – aber dann haben Sie vermutlich noch nie die Nase in einen Sportstudio-Umkleidespind gehalten. So und nicht anders muß es in der Hölle riechen.
Ja, ein Besuch im Fitnessstudio trainiert nicht nur Muskulatur und Körperstärke, sondern definitiv auch Magen und Nerven! Gerade in Bezug auf Letztere sollten Sie überdies niemals vergessen, schalldichte Kopfhörer und sehr laute Musik mit in ihr Training zu bringen: es ist schließlich schon schlimm genug, gewissen Leuten bei körperlicher Ertüchtigung zusehen zu müssen – aber noch schlimmer ist es, sie dabei auch noch zu hören.
Sollten Sie ihr tägliches Training dann irgendwann erfolgreich beendet haben – im Bestfall ohne irgendjemandem den Schädel einzuschlagen oder sich zu übergeben – so sind auch Sie dem Optimalzustand des gesundheitsorientierten Großstädters ein Stückchen näher gekommen.
Ich bin derweilen jedenfalls wieder zu Hause eingetroffen und schaue, körperlich zerstört aber glücklich, meiner Zukunft als körperbewußtem Frühdreißiger entgegen: einer Zukunft aus Dinkelbrot, Bio-Brotaufstrich und speckigen Frottierhandtüchern. Toll!
‘Ab jetzt wird alles anders’ sage ich mir und zünde mir darauf erstmal ‘ne Zigarette an, des Erfolges wegen.
Nur eine.
Okay, vielleicht auch zwei…reicht ja eigentlich auch wenn ich morgen mit dem neuen Leben beginne, oder?

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