Bitte sprechen Sie mit mir!

Es gibt Begebenheiten – erscheinen sie auch noch so klein und unbedeutend – die den Lauf der Dinge für alle Zeit verändern. Die Erfindung des Minirocks zum Beispiel – ein kleiner Schnitt für den Schneider, ein großer Schritt für die sexuell-feminine Revolution. Oder das Popcorn. Hätte nicht irgendwann mal jemand eine Handvoll Mais über’s Lagerfeuer gehalten, um zu sehen was passiert – was hätten wir denn dann im Kino essen sollen?
Am bedeutsamsten ist aber jedoch die Entdeckung jener einen so vermeintlichen Kleinigkeit, die uns Menschen möglicherweise am ehesten als solche definiert und uns somit deutlich von allen anderen Lebewesen dieses Planeten unterscheidet: die Erfindung der Sprache. Wäre nicht einer unserer haarigen Vorfahren vor zig-Millionen Jahren auf die glorreiche Idee gekommen, von den Bäumen zu klettern um die verbale Kommunikation zu etablieren – wir säßen wahrscheinlich noch heute im Geäst und würden den Mond anbellen.
Umso mehr besteht ein Grund, nach all der Zeit mal Resümee zu ziehen: wie sieht’s denn nun eigentlich aus mit dem Deutsch des 21. Jahrhunderts?
Obwohl unsere deutsche Sprache im Rest der Welt zum größten Teil als ‘barsch, hart und unwohlklingend’ verschrien ist, so bescherte sie uns doch Worte mit solch lyrischer Leichtigkeit wie “Niederkunft”, “Darmvorfall” oder “Einkommensteuererklärung”. Auch sollten wir den Verschollenen und Gefallenen gedenken: Worte wie “Brieffreundin” oder “Sendeschluss” werden nach und nach aus unserem Sprachgebrauch verschwinden und schon in ein paar Jahren wird sich niemand je wieder an sie erinnern.
Aber da Sprache ja glücklicherweise etwas Lebendiges ist, können wir uns täglich über neue Wortkreationen freuen, die unseren Wortschatz nicht nur vergrößern, sondern auch ungemein bereichern können: so beschreibt beispielsweise das Wort “abgechillt” einen Gemütszustand, für den es offenbar vor 10 Jahren noch keine zutreffende Umschreibung gegeben hat. Um dieses unbeschreibliche Gefühl grenzenloser Gelöstheit beschreiben zu können, scheint ein schnödes “entspannt” wohl einfach nicht auszureichen.
Nun denn.
Den absurdesten Begriff, den unsere polyglotte Gesellschaft allerdings in den letzten Jahren hervorgebracht hat, ist – wenn ich am diesem Punkt auch mal ganz unverblümte Subjektivität einbringen darf – auch gleichzeitig mein persönliches Un-Wort der vergangenen Dekade: “stylisch”.
Was zum Henker soll denn das bitte ausdrücken? Findet man etwas nur ganz einfach ‘schön’ oder geht das noch darüber hinaus? Stößt man als zeitgenössisch-sprechender Mensch mit dieser Begrifflichkeit in Sphären vor, die mir, da ich mit Brieffreundinnen und Sendeschluss aufgewachsen bin, einfach auf ewig verschlossen sein werden? Oder benutzt man dieses Wort nur so gern aufgrund seiner anglophilen Färbung?
Letzterer Punkt ist mit Sicherheit das überzeugendste Argument – schließlich liebäugelt man in Deutschland seit jeher sehr mit der nordamerikanischer Kultur: riesige Luxuskarossen, leichtbekleidete Frauen und Hamburger, so groß wie ein kleines Entwicklungsland…in Amerika sind den Möglichkeiten eben keine Grenzen gesetzt. Vom Tellerwäscher zum Millionär, größtmöglicher Gewinn bei minimalstem Einsatz – im Gegensatz zu hier scheint es dort drüben schließlich zu funktionieren. Dort kann man eben noch selbst als die untalentierteste Südstaaten-Bratze zu kurzzeitigem Weltruhm gelangen, um danach millionenschwer in der Alkoholsucht zu versinken. Dort kann man immerhin noch auf offener Straße gegen Homosexualität und/oder für rassistische Ideale demonstrieren, ohne dafür verprügelt zu werden.
Ja, das imponiert uns hier in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker. Und so krempeln wir wie geisteskrank unsere kulturellen Gepflogenheiten auf West, verkaufen fortan Fruchtsaft als ‘Smoothies’ und updaten unsere angestaubte Gesellschaft mit Cocktail Lounges, Coffee to go, und social networking.
Ist das das Anfang vom Ende? Sind Gestalten wie Cora Schumacher, Justin Bieber und Britney Spears wohlmöglich die seit Urzeiten prophezeiten Reiter der Apokalypse?
Ich vermag es nicht zu sagen – aber sehen wir es doch einfach mal so: die Bereifung unserer Schöngeistigkeit scheint im Jahre 2010 zwar mehr als runtergefahren zu sein – aber immerhin sind wir noch kreativ genug, uns ein paar zwar völlig sinnlose, aber immerhin neue Wörter auszudenken. Und wer weiß – vielleicht erfindet mir auch bald jemand ein Wort für das Gefühl von schierer Verzweiflung aufgrund sozialer Unterforderung. Über E-Mails würde ich mich jedenfalls sehr freuen!

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