“Ich glaub’ ich bin gar, kann ich jetzt raus?”

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dschungel_web

War das nicht ein großartiges Stück Fernsehgeschichte, Freunde?
Und dabei hatten wir uns schon fast damit abgefunden, dass der höchste Spannungsgrad televisionärer Unterhaltung bereits damit erreicht ist, dass Aiman Abdallah ‘ne Rolle Mentos in eine Colaflasche wirft oder wir Steffi Graf dabei beobachten dürfen, wie sie einen probiotischen Joghurtdrink zu sich nimmt.
Ich meine – ich habe mir (wie ja eigentlich jeder von uns) diese Sendung natürlich nicht angeschaut! Höchstens mal kurz hängengeblieben beim Drüberzappen während der Börsenberichte im Nachrichtenkanal. Dieses Format ist aber nun auch einfach zu verlockend: eine Handvoll Prominenter mit einem Bekanntheitsstatus irgendwo zwischen “Hab ich schon mal irgendwo gesehen” und “Wer zur Hölle ist das!?” werden in einem exotischen Center Parc eingesperrt und müssen eklige Sachen machen. Dabei werden sie rund um die Uhr überwacht von unsichtbaren Kamerakobolden, einem zweiköpfigen Moderatorenmonster und natürlich von RTL, dem Hades des Fernsehfunks. Das Dschungelcamp: die Unterwelt der Unterhaltungsindustrie. Wer hier einmal gelandet ist, kommt nie wieder raus – es sei denn, man verabschiedet sich von Würde, Stolz und Selbstgefühl. Allerdings winken demjenigen, der die televisionäre Inquisition überlebt, eine vermutlich nicht unerhebliche Aufwandsentschädigung sowie die Aussicht auf einen erneuten Aufstieg in den Showbusiness-Olymp. Somit wäre weitestgehend geklärt, weshalb sich jemand freiwillig diesen öffentlichen Torturen ausliefert. Aber es bleibt die Frage: Wieso sehe ich mir als Zuschauer all das an?
Nun, eine eindeutige Antwort auf diese Frage will mir atok nicht einfallen. Aber immerhin erkennen wir wieder einmal mehr, daß Prominente (wobei man diesen Begriff in Hinblick auf die teilnehmenden Kandidaten auch wieder in Frage stellen müsste) ja auch nur Menschen sind wie du und ich – schließlich ist es nicht wesentlich unangenehmer, auf rohen Fischaugen zu kauen als den ganzen Tag bei Schlecker hinter der Kasse zu stehen. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist es uns also mehr als unser gutes Recht, von der heimischen Couchlandschaft aus mit dem nackten Finger auf diese armen verzweifelten Idioten zu zeigen und sie mal richtig auszulachen. Wieso sollen die es schließlich besser haben als wir?? Endlich hat der kleine Mann mal die Chance, seinem medialen Lieblings-Hassobjekt via sündhaft-teurer Telefonhotlines einen virtuellen Arschtritt zu verpassen. Das mag zwar im ersten Moment nach Geldmacherei klingen – aber wer von uns würde nicht sofort zum Telefonhörer greifen, wenn es darum ginge, beispielsweise Herrn Westerwelle mal eine ordentliche Ladung ausgehungerter Kakerlaken in die Hose zu schütten? (Wäre das nicht ein großartiger potentieller Kandidat für die nächste Staffel, liebe RTL-Redakteure? Der braucht eh bald einen neuen Job – also denkt doch mal drüber nach…)
Somit übernehmen Sendungen wie diese eine weit größere Rolle als nur simple Abendunterhaltung: nämlich die Wiederherstellung des sozialen Gleichgewichts in Form einer tropischen Folterkammer. Toll!
Oder sollte sich am Erfolg des Dschungelcamps lediglich der vielzitierte geistige Verfall unserer Gesellschaft zeigen? Wo man vor noch gar nicht allzu langer Zeit aus Unterhaltungszwecken ein Theater besucht hat, ein Varieté oder die schmuddelige Peepshow im Bahnhofsviertel, so schauen heute 6 Millionen Zuschauer lieber dem Frauenknast-Walter dabei zu, wie sie ein fauliges Entenei essen muß und postwendend in die Botanik reihert. DAS ist zeitgenössische Fernsehunterhaltung, Leute! Da ist nix gestellt und nix gespielt (bis auf die ein oder andere Liebesbeziehung hin und wieder) – hier bekommen wir ein schonungsloses Abbild unserer Realität. Was ist schon die Mondlandung von 1969 gegen eine kotzende Katy Karrenbauer im australischen Busch? Das ist zwar geschmacklos, abstoßend und hochgradig ekelerregend – aber doch müssen wir alle hinschauen, genau wie bei Unfällen auf der Autobahn. Man kann es leider nicht leugnen: die Lust, sich am Leid anderer zu ergötzen, ist irgendwo tief in unseren animalischsten Urinstinkten verankert und ist einfach stärker als jede noch so enthusiastische Bereitschaft, sich auf Schöngeistiges oder gar Bildendes einzulassen. Noch dazu kostet es uns weniger Energie, von der wir in diesen Tagen ohnehin über nur noch sehr begrenzte Ressourcen verfügen – haben wir alle doch tagtäglich im Alltag unsere kleinen Dschungelprüfungen zu bestehen: einen Haltegriff in der U-Bahn anfassen zu müssen ist für einige von uns schließlich nicht minder widerlich als in einen Kübel Fischgedärm zu springen.
Sie sehen – der Dschungel ist eben überall und dazu muß ich nicht mal bis nach Australien fahren. Zumal wir ja jetzt wissen, daß sich der gemeine australische Hinterwäldler am anderen Ende der Welt vorwiegend von solch unappetitlichen Dingen wie Rattenschwanz-Shakes und Regenwürmern in Aspik ernährt. Aber vom edukativen Aspekt mal ganz abgesehen: was können wir aus dem Dschungelcamp mitnehmen in unser Leben?
Nun, ich habe keine Ahnung. Und mögen die Eier hierzulande nun dioxinverseucht sein oder nicht – immerhin bleibt mir die selige Gewissheit, daß ich essen kann, was ich will, wann ich will und wo ich will. Schließlich leben wir in einer zivilisierten Welt!
In diesem Sinne – “Guten Morgen Australien, Gute Nacht Deutschland!”

Text Herr von Keil

Illustration Tim Brackmann

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